PREISVERLEIHUNG
CIVIS Medienpreis 2022
„Gemeinsam laut sein und sagen: Was ist – das wird immer wichtig bleiben!“ Das sagt Reem Alabali-Radovan, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Antirassismusbeauftragte. Sie sagt es in einer Videobotschaft für die Verleihung des Europäischen CIVIS Medienpreises für Integration und kulturelle Vielfalt. Die fand am Freitag, 3. Juni 2022 zum 34. Mal statt. Gewürdigt wurden erneut Medienschaffende für herausragende Produktionen zu den Themen Integration und kulturelle Vielfalt im Fernsehen, Radio, Internet und Kino.
Eine Tradition also. Sie überspannt die jeweilige Aktualität – weil sich die Probleme im Fokus von CIVIS nicht irgendwann erledigen. WDR-Intendant Tom Buhrow bringt es im eingespielten Video der Freund:innen und Partner:innen von CIVIS auf den Punkt: „Der CIVIS Medienpreis hat sich Migration, Integration, Antisemitismus schon angenommen, lange bevor das auf der politischen Agenda breit stand.“ So sieht es auch Christiane von Websky von der Stiftung Mercator, die einen neuen Podcast und ein neues Insta-Live-Format von CIVIS fördert: „Die Themen, denen sich CIVIS verschrieben hat, die bleiben immer aktuell!“ Da sind sich die Freund:innen und Partner:innen einig. CIVIS „öffnet mir jedes Jahr aufs Neue die Augen, dass wir wach sein müssen und uns zwingen müssen, nicht abzustumpfen“, meint die Produzentin Minu Barati-Fischer. „Das Besondere ist, dass CIVIS eine ganz breite Palette von journalistischen Formaten bewertet“, lobt Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue. Und DW-Intendant Peter Limbourg bescheidet bündig: „CIVIS ist immer wichtig!“
Besondere Zeiten
Trotzdem stimmt natürlich: Das sind besondere Zeiten, auch für CIVIS und den Medienpreis. Moderatorin Anna Dushime weist gleich zu Beginn der Verleihungsfeier darauf hin. Seit über 30 Jahren stehe CIVIS für den Zusammenhalt in Einwanderungsgesellschaften und für den Umgang der Medien damit. „Medien können aber auch spalten. Das sehen wir unter anderem jetzt, in dieser Zeit des russischen Krieges gegen die Ukraine. Wie groß die Bedeutung einer freien Berichterstattung ist, die für Integration und Respekt kämpft.“ „Gerade mit der aktuellen Situation in Europa sind diese Werte wichtiger denn je“, stellt Gilles Marchand, Generaldirektor des Schweizer Radio und Fernsehen (SRG SSR), in seiner Videobotschaft fest.
Der Wettbewerb um die renommierten Preise ist ein eindrucksvoller Beleg: Der Jahrgang 21/22 hat sich dieser Aufgabe erfolgreich gestellt. Das gilt für das große Feld der fast 800 eingereichten Bewerbungen aus 20 EU-Staaten und der Schweiz. Es gilt vor allem und in glanzvoller Weise für die Nominierten und Preisträger:innen in den acht verschiedenen Kategorien für Produktionen aus elektronischen Medien.
Zum Beispiel für „Schwarze Adler“, Sieger in der Kategorie Video Information. Torsten Körners Dokumentarfilm schildert das Schicksal schwarzer Fußballer:innen, die es als Erste in die deutschen Nationalmannschaften geschafft haben. Sie wurden bejubelt für ihre Tore auf dem Platz und verhöhnt wegen ihrer Hautfarbe. „Da hab ich erst begriffen, was das N-Wort bedeutet“, erzählt einer der Adler, Schalke-Legende Gerald Asamoah. Sportschau-Moderatorin Esther Sedlaczek schlägt in ihrer in die Sendung eingespielten Laudatio den Bogen zur Gegenwart: „Auch wenn sich manches zum Besseren gewendet hat – der Rassismus im Fußball schwelt weiter.“ Autor Torsten Körner („ein Fußballjunge, Jahrgang 65“) kann das bestätigen: In den Topligen sei es besser geworden, aber „in den kleinen Stadien gibt es unglaublich viel Rassismus“.
Besonders bedrückende Verhältnisse schildert die siegreiche Produktion bei den Social-Media-Formaten. In „Meine Narbe“ von Fitore Muzaqi, Henrik Schütz und Stefanie Vollmann (WDR Cosmo) geht es um die Erfahrungen eines jungen Mannes, der 48 Tage in einem syrischen Foltergefängnis überlebt hat und mit dem Trauma fertig werden muss. „Jetzt wagt er Schritte ins neue Leben“, erläutert der Schauspieler, Musiker und Produzent Tyron Ricketts in seiner Würdigung. „Martins Erzählung lässt einen nicht los.“ Es ist der Glücksfall eines gelungenen journalistischen Zugriffs auf Verhältnisse unter der Oberfläche.
Vielfältige Persepektiven
Die Preisträgerin in der Kategorie Young C. Award steht exemplarisch für ein weiteres Kernanliegen von CIVIS: Differenzierung, auch und gerade beim Blick auf problematische Verhältnisse. „Die vier Winde“ („Los cuatro vientos“) von Anna-Sophia Richard erzählt, was Migration mit den Einwohner:innen eines Dorfes in der Dominikanischen Republik macht. Der Film begleitet Auswanderer:innen, Zurückbleibende, Heimkehrer:innen. Er schildert Hoffnungen und Enttäuschungen, Stolz und Trauer. „Er fällt keine moralischen Urteile, sondern macht mittels der herausragenden Regie und Kameraarbeit zwiespältige Gefühle erfahrbar“, heißt es in der Begründung der Preisjury. Das ist ganz im Sinne der Feststellung von Andreas Freudenberg, Vorsitzender des Kuratoriums der Freudenberg Stiftung, dass „CIVIS für die Vielfalt an Lebensentwürfen, Realitäten und auch Perspektiven auf die Wirklichkeit steht.“ Es illustriert außerdem den Hinweis von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann auf Themen, die „vor den Vorhang geholt“ werden, was eine CIVIS-Leistung sei. Und: „Die Gesellschaft kann es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten.“
„Ein Meisterwerk, das lange nachwirken wird“, stellt Laudator Joachim Gauck vor. Der ehemalige Bundespräsident ist sichtlich beeindruckt von „Die Wannseekonferenz“, einem Spielfilm für das ZDF. Den Preis teilen sich die Autoren Magnus Vattrodt und Paul Mommertz. Gauck: „Eine Männerrunde entwirft in 90 Minuten – eine Spielfilmläge – ein nie dagewesenes Programm: Aus Menschenverachtung soll Menschenvernichtung werden.“ Der brillant inszenierte Film hält sich protokollarisch eng an den Ablauf der monströsen Sitzung, was nicht nur der historischen Wahrheitsfindung dient. In den Worten des Alt-Bundespräsidenten: „Wir erkennen: Menschenhass, Menschenfeindlichkeit und Tötungswillen existieren nach wie vor, auch heute.“
Der Preisträger unter den Kinofilmen, der CIVIS Cinema Award, wird traditionell vom Publikum gekürt, und das hat dieses Jahr Sönke Wortmanns „Contra“ gewählt. Der Film verfolgt mit präzisem Dialogwitz das Kräftemessen zwischen einem dünkelhaften Juraprofessor mit einer Vorliebe für rassistische Sprüche und einer jungen Studentin aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte. Es geht um Rhetorik, um die Kunst des Debattierens, um Abneigung, die sich in Sympathie wandelt, und „das ist alles gleichzeitig sehr unterhaltend und anregend“, findet die Laudatorin, Schauspielerin Melika Foroutan.
Dabei sei es gar nicht so schwer gewesen, die beiden Hauptdarsteller:innen Nilam Farooq und Christoph-Maria Herbst zu Höchstleistungen zu treiben, behauptet Wortmann. „Die spielen das, und ich gucke dann zu!“ Wie der Regisseur und der Produzent Christoph Müller berichten, hat die Komödie im Übrigen einen unverhofften Nebeneffekt gehabt: Die Resonanz zeige, dass sie der bislang eher kümmerlichen Debattenkultur an deutschen Schulen neues Leben eingehaucht habe.
Seltene Einblicke
Per Publikumsentscheid wurde auch der Gewinner in der Kategorie Podcast bestimmt. „Da wird mir warm ums Herz“, bekennt Anna Dushime, die Moderatorin. „Ich liebe Podcasts!“ Dieser bietet allerdings etwas Besonderes, denn Staffel 1, Folge 4 von „Zweidrittel FM“ ist sozusagen eine Produktion hinter Gittern, entstanden in einem Berliner Knast. Ein Team aus Journalisten, Häftlingen, Musikern und Lehrer:innen ist dort der Frage nachgegangen „Gibt es Freundschaft im Gefängnis?“. Und ist mit zwei aus dem Irak stammenden Insassen zum Schluss gekommen: Jawohl, kann es geben. „Ist kein Freund, ist mein Bro“, sagt der eine über den anderen. „Ein Blick in eine Welt, von der die meisten Außenstehenden keine Ahnung haben“, hat die Jury zu Recht festgestellt.
Es müssen nicht immer umfangreiche Produktionen sein, die eine der gläsernen Prismen-Stelen – CIVIS-Gegenstück zum Oscar – holen. Das gilt besonders für die Kategorie Audio (Kurze Programme), in der die Beiträge maximal sechs Minuten lang sein dürfen. Alexander Moritz hat in seinem Stück für die morgendliche Informationssendung des Deutschlandfunks den „Koalitionsstreit in Sachsen um Abschiebung gut integrierter georgischer Familien“ dargestellt. Das hört sich nach prosaischer Routine an – und macht doch in den Worten der Laudatorin und Choreografin Nikeata Thompson „deutlich, wie unmenschlich deutsche Asylpolitik sein kann“.
Last but not Least
Den Preis für lange Audio-Produktionen gewinnt Sebastian Friedrichs aufwühlende Dokumentation „Der letzte Tag“. Er geht dem rassistischen Attentat von Hanau nach, dem Ablauf, dem Versagen der Behörden, dem Leid der Angehörigen, aber auch dem Alltagsleben im Hanauer Stadtteil Kesselstadt. Es ist „ein erschütterndes Bild von den verheerenden Folgen rassistischen Denkens“, sagt der Schauspieler Bjarne Mädel in seiner Laudatio. „Wer dieses Feature hört, wird die Toten nicht vergessen.“
Das ist, sagt Autor Friedrich, nicht allein eine Frage des professionellen Könnens. Zugang zu Beteiligten und Betroffenen habe er nur gewinnen können, weil ihm für Recherche und Aufnahme genügend Zeit und, das heißt, ein entsprechendes Budget zur Verfügung standen. „Ich hatte das Geld!“ Qualität kostet? Nicht immer, aber manchmal sehr wohl, wenn es darum geht, journalistisch tiefer, heißt länger und aufwendiger zu bohren.
Den Schluss der Gala bildet der Top Award als zusätzliche Prämierung eines der acht zuvor bereits gekrönten Bewerber:innen. Er geht dieses Jahr an die „Schwarzen Adler“. Regisseur Torsten Körner („mein Herz klopft“) ist überrascht – er hatte keine Ahnung, dass es den Top Award überhaupt gibt. Und was macht er nun damit? „Vielleicht kann ich das Abiturkleid meiner Tochter damit bezahlen.“ 15.000 Euro? Müsste reichen.
Header: WDR/ Dirk Borm
Fotos: CIVIS Medienstiftung / WDR / Dirk Borm/ Halim Dogan