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PREISVERLEIHUNG

CIVIS Medienpreis 2021

Es gibt strahlende Sieger, ansehnliche Preise und beeindruckende Beiträge im Wettbewerb um einen der CIVIS Awards. Es gibt Jubel, es gibt Tränen der Ergriffenheit, und es gibt ganz viel Applaus. Der kommt aus dem Kreis der Nominierten, denn ein Publikum im WDR-Studio in Köln Bocklemünd – das gibt es, Corona-bedingt, noch nicht. Auch die 34. Auflage der Auszeichnung herausragender Medien-Produktionen zum Thema Integration, Migration und kulturelle Vielfalt muss noch mit dem Abstandsgebot zurechtkommen. Aber immerhin ist die Preisverleihung zurück auf dem angestammten Frühjahrstermin, und Moderator Jaafar Abdul Karim präsentiert die Zeremonie so schwungvoll, als ob er ein pickepacke-volles Studio vor sich hätte.

CIVIS ist also möglich, auch unter diesen verschärften Bedingungen. Und CIVIS ist nötig, gerade unter diesen Bedingungen. Denn, sagt Annette Widmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, im eingespielten Video der Freund:innen und Partner:innen von CIVIS, „der Zusammenhalt wird in der Pandemie ganz besonders auf die Probe gestellt.“ Und ein „Preis ist wichtig, der das Thema Solidarität, Zusammenhalt in der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt“, ergänzt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. CIVIS steht für den Zusammenhalt besonders da, wo er in Bedrängnis gerät. In den Worten von WDR-Intendant Tom Buhrow: „Der Kampf gegen Rassismus, gegen Vorurteile und für Zusammenhalt in der Gesellschaft ist immer aktuell – das ist ja kein Modethema.“

Jaafar Abdul Karim | Moderator der CIVIS Preisverleihung 2021
Daphne Ivana Sager und Jan-Nicholas Vogt | CIVIS VIDEO AWARD Social Media Format
Nele Dehnenkamp | CIVIS YOUNG C.

Zusammenhalt ist eine Daueraufgabe

Rassistische und antisemitische Übergriffe in den vergangenen Tagen, Wochen, Monaten haben es mit brutaler Deutlichkeit vor Augen geführt: Der Einsatz für ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, ist keine Anstrengung, die sich irgendwann erledigt hat. Es ist eine Daueraufgabe. Der Entschlossenheit, sich ihr zu stellen, hat die Pandemie nichts anhaben können. Fast 800 Beiträge – Fernsehen, Radio und Internet – aus 20 EU-Ländern und der Schweiz haben sich um einen der CIVIS Medienpreise beworben. Erneut repräsentieren sie in eindrucksvoller Bandbreite nicht nur die Probleme, die es in einer Einwanderungsgesellschaft gibt, sondern auch, wie bereichernd das Miteinander der vielen Verschiedenen oft ist.

Zum Beispiel die Einsicht, die „Darf ich dir in die Haare fassen?“ vermittelt, Gewinner in der Kategorie Video Social Media: Rassismus fängt früher an, als manche wahrhaben wollen. Schwarzen und People of Colour wird oft in die Haare gefasst. Einfach so. Einfach so? Das Team von WDR Cosmo hat den Spieß umgedreht und Leute auf der Straße gefragt, ob sie etwas dagegen haben, dass man ihnen an die Haare geht. Und siehe da – auf einmal fühlen sie sich unbehaglich. Wenigstens zum Teil. Eine aufschlussreiche Provokation. Die Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes in ihrer in die Sendung eingespielten Laudatio : „Der Film vermittelt, warum diese Geste mehr als übergriffig, warum sie ein Stück Alltagsrassismus ist“. So leistet dies Video Entwicklungshilfe für eine Erkenntnis, wie sie Andreas Freudenberg, Kuratoriumsvorsitzender der Freudenberg Stiftung, vorschwebt: „Gemeinsinn entwickelt sich nur über kontinuierliche Arbeit an der politischen Kultur, an der sozialen Kultur eines Landes.“

Caspar Fischer und Anja Buwert | CIVIS VIDEO AWARD Information
Claudia Gschweitl | CIVIS AUDIO AWARD lange Programme
Paulina Lorenz und Faraz Shariat | CIVIS CINEMA AWARD

Mut, Geschick und Beharrlichkeit zahlen sich aus

Eine Erkenntnis stand auch hinter dem Film „Seepferdchen“, mit dem Regisseurin Nele Dehnenkamp den YOUNG C. AWARD holt: „Viele Migrant:innen können nicht schwimmen!“ Die junge Jesidin Hannan hat es erst lernen müssen. Jetzt bringt sie es ihrem Bruder und anderen Kindern bei. Denn Schwimmen ist wichtig, lebenswichtig. Das Wasser ist Hannans Traum und Trauma – ständige Erinnerung an die Überquerung des Mittelmeers in einem Schlauchboot. Die Bilder wird Hannan nicht mehr los. Und doch, sagt die Schauspielerin Maryam Zaree in ihrer Präsentation, zeigt „der wunderbare Film, dass man sich irgendwann seiner Angst stellt“.

Der investigative Höhepunkt des diesjährigen Bewerberfelds ist „Rechts. Deutsch. Radikal“, der Preisträger in der Kategorie Video – Information. Nach anderthalb Jahren Recherche im rechten Milieu werfen Thilo Mischke und Anja Buwert einen ebenso verstörenden wie erhellenden Blick auf Deutschlands hässlichste Seite, mit Nahaufnahmen von Nazis und solchen, die es werden wollen. Braune Geselligkeit, rassistischer Fanatismus und unverhohlene Brutalität kommen zum Vorschein.  „Dafür braucht man Mut, Geschick und Beharrlichkeit – das hat sich ausgezahlt“, stellt der Laudator, Gründer der legendären Kölsch-Rock-Band BAP, Wolfgang Niedecken fest. „Ein fesselndes Stück Aufklärung darüber, wie viele Facetten die rechte Szene in Deutschland hat.“ Besonders stolz sind die Macher:innen des ProSieben-Teams auf das rege Interesse, das ihr Film in  Schulen findet – „vielleicht das schönste Lob“.

Weniger auftrumpfend als in der ProSieben-Reportage kommen Fremdenhass und Ignoranz in Claudia Gschweitls Radio-Reportage „Willkommen in Weikendorf“ daher. Sie gewinnt in der Kategorie AUDIO LANG einen der mit 2000 Euro dotierten Preise. Eine palästinensische Familie will ein Haus kaufen im niederösterreichischen Weikendorf. Der Bürgermeister legt sich quer, eine Bürgerinitiative mobilisiert Widerstand. Der ganze Ort gerät in Wallung,  Dialog findet nicht mehr statt. Und das, meint Gschweitl, sei kein lokaler Sonderfall, sondern könne sich ähnlich auch in jeder anderen Gemeinde in Österreich abspielen. So sieht es auch Bestseller-Autor Frank Schätzing in seiner Lobadresse: „Ein echtes Lehrstück auch über Rassismus, in einer Dimension, die weit über Weikendorf hinausgeht.“

Geschichten, aus dem Leben gegriffen

Den CIVIS-Sieger unter den Kino-Filmen hat auch diesmal keine Jury gekürt, sondern das Publikum: „Futur Drei“, die Geschichte des jungen Parvis, dessen Familie aus dem Iran kommt. Jetzt sucht er in Deutschland nach seiner Identität. „Ich muss meine eigenen Erfahrungen machen“, sagt er der Mutter, die von Teheran träumt. Die Erfahrungen macht er in einem Flüchtlingsheim, im Schwulen-Club, im traditionsbewussten Elternhaus, nachts auf der Straße oder in der Natur. Mit Banafshe, die abgeschoben werden soll, und mit ihrem Bruder, in den er sich verliebt.

Regisseur Faraz Shariat hat keinen bleischweren Problemfilm abgeliefert, sagt Schauspieler Christoph Maria Herbst in seiner Würdigung: „Hier wird das Leben junger Menschen erzählt – mit Worten, Bildern und der Sprache junger Menschen.“ Damit ist „Futur Drei“ ein Beitrag zu dem, was sich CIVIS-Unterstützerin Minu Barati von der Produzentenallianz wünscht. „Mehr Normalität für künftige Generationen von Migrantenkindern. Das sind keine Aliens!“ Und wieso „Futur Drei?“ will Moderator Jaafar Abdul Karim von der Produzentin Paulina Lorenz wissen. „Weil es um die Zukunft geht … die Utopie der drei Menschen.“

Um sehr viel Gegenwart geht es hingegen im Film „Herren“, der die Kategorie VIDEO Unterhaltung gewinnt. Eine Geschichte aus dem Leben gegriffen – aus dem Leben schwarzer Menschen in Deutschland. Diskriminierung, Vorurteil und Ablehnung gehören für sie zur Alltagserfahrung. Aber ihr Leben besteht nicht daraus. Ehrgeiz, Familienzwist, Alter gehören ganz selbstverständlich auch dazu. Das ergibt dann „eine normale männliche Midlife Crisis“, sagt Autorin Stefanie Kremser. Zehn Jahre hat die Arbeit an der Produktion gedauert, für eine Premiere der besonderen Art, wie Schauspielerin Annette Frier, die die Laudatio hält, feststellt: Alle Akteure sind schwarz – „das hat man so in einem ARD-Primetime-Stück noch nicht gesehen“.

Stefanie Kremser | CIVIS VIDEO AWARD Unterhaltung
Sabine Wachs | CIVIS AUDIO AWARD kurze Programme
Minh Thu Tran und Vanessa Vu | CIVIS TOP AWARD und CIVIS AUDIO AWARD Podcasts

Gegen die Logik von Hass und Rache

Vom Sieger bei den kurzen Audio-Beiträgen, „Uns bleiben nur die Worte“, sind alle sichtlich ergriffen, die Anwesenden im Studio, der Schalker Fußball-Veteran Gerald Asamoah als Laudator und auch die preisgekrönte Autorin Sabine Wachs. Ihre Reportage erzählt die Geschichte zweier Väter, die ihre Kinder verloren, als Terroristen am 13. November 2015 in der Pariser Konzerthalle Bataclan ein Blutbad anrichteten. Die Tochter des einen war unter den Opfern, der Sohn des anderen einer der Täter. Doch die beiden Alten verweigern sich der Logik von Hass und Rache. Sie hören einander zu und erkennen: Sie sind beide Leidtragende. „Wieviel Mut und Mitgefühl müssen diese Väter haben, dass sie aufeinander zugehen“, sagt Asamoah.

Den TOP Award, „sozusagen der Preis der CIVIS-Preise“ (Abdul Karim) bekommt der Sieger in der Kategorie Podcast „Rice and Shine: Hamburg 1980 – Als der rechte Terror wieder aufflammte“. Vierzig Jahre ist es her, dass in der Hansestadt zwei junge vietnamesische Männer bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim starben. Es ist der erste rassistisch motivierte Mord der Bundesrepublik. Aus dem öffentlichen Bewusstsein ist er längst verschwunden. „Wie kann das sein?“ fragt Fernsehmoderatorin Dunja Hayali, die den diesjährigen Doppelgewinner vorstellt. Vanessa Vu und Minh Thu Tran rekonstruieren die Tat und schildern den Kampf der Mutter eines der Kinder um ein Denkmal. Wenigstens in Form dieses beklemmenden Beitrags liegt das nun vor. Und vielleicht demnächst auch am Tatort selbst: Die beiden Autorinnen stiften die 15.000 Euro Preisgeld der Initiative für eine Gedenkstätte.

CIVIS funktioniert also auch in Zeiten, da der Zusammenhalt besonders auf die Probe gestellt wird und „weil wir zeigen müssen, dass Einwanderung wichtig ist“ (Deutsche Welle-Intendant Peter Limbourg). Die Preise funktionieren, weil sie – in den Worten von SRF/SSR-Generaldirektor Gilles Marchand – „den Respekt der Heterogenität, des Andersseins“ fördern. Und, sagt Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue, CIVIS funktioniert überdies als Angebot an all die, die sich darum bemühen, „sich zu diesem Thema zu vernetzen und miteinander auszutauschen“ – in nach-pandemischer Zeit dann wieder mit Publikum!